Sommerakademie 2007

Spektakel und Situation
Ist künstlerische Spontaneität medial inszenierbar?
14.-23. August 2007

Die Titelbegriffe des Themas, auf welche die Sommerakademie im August 2007 fokussiert hat, können in der Verständnisroutine der Mediengesellschaft auch als abrupter Gegensatz gesehen werden:

„Situation“ wirkt auf uns als gegeben, als ein Resultat, in welchem ein Prozess zum Stillstand gekommen scheint, definiert sich bisweilen als Umgebung, in welcher alles aufeinander bezogen „passt“ – keine Geste, kein Wort, keine Äußerung, keine symbolische Ordnung erscheint beliebig oder unvermittelt. Das gilt auch für soziale oder theatralische Interaktion und Inszenierungen: entweder man verhält sich situationsadäquat stimmig oder man fällt fast oder krass aus dem Rahmen.

„Spektakel“ hingegen ist Prozess schlechthin. Phantasie explodiert, man verkörpert Gefühls-Excitement und Gedankenblitz, wird buchstäblich zur „inneren Sternschnuppe“ – oszillierende Lebendigkeit in multimedialer Wechselwirkung. Eine große Schaukel der Sinnlichkeit, individuelle Selbstauflösung, Tanz und Traum, berauschendes Erstaunen verwandeln ein zirkushaftes Szenario blitzschnell in individuelle Freiräume und Freiträume in Zufallsgemeinschaft, mit allen allein und jede/r mit allen. Clubbing-Rituale, Festspiel-Events, situationistisches Theater, dadaistische Performance der Selbstdarstellung, künstlerische Profan-Messen etc.: ein situationistischer „Absolutismus des Augenblicks“ bemächtigt sich der „Strukturopfer“ von Konvention, Zwang und Hierarchie, also des überraschten Publikums. Es gelten die Regeln einer verkehrten Welt: „Jede Regel ist eine Ausnahme, Psychologie ein Handicap – der Schluck auf die Axe und der Pfiff aufs Ganze.“ (Walter Serner) 

Individualismus wird konfus – die medial gewünschte Selbstdarstellung verstrickt sich im Paradoxon: authentisch, glaubwürdig und medial-perfekt konstruiert sollen wir sein, und das gleichzeitig und sofort. Jedoch, die notwendige Glaubwürdigkeit nützt sich im Prozess ihrer medialen Herstellung im Nu ab, höchste Lebensintensität gerinnt zur bloßen Schein-Verkörperung. Illusionierungstechnisch forcieren die Medien generell eine Perfektionierung der „Virtual Reality“, um letztendlich unsere Einbildungskraft (die „real“ Virtuality) im Wesentlichen von außen her steuern zu können, manipulierbar oder als Medien-Event konsumierbar zu machen – als wäre es von uns selbst gewollt, begehrt und umgesetzt. „Spontane Kreativität“ als Medieninszenierung, sozusagen. Das Paradox könnte krasser nicht sein.

Dennoch müssen sich KünstlerInnen wie auch das geschmacksintelligente Publikum in dieser global-verbindlichen Medienrealität fröhlich produzieren, lebendig rezipieren und vor allem als autonom begreifen und sich mit dem Ausdruck selbstkritischer Vitalität behaupten, und das ist gut so. Obsessivität ist kreatives Grundnahrungsmittel von KünstlerInnen sowie ihren mental-spirituellen SympathisantInnen. Performatorische Präsenz ist für beide unerlässlich. Das Aufblitzen einer Idee, der Flash of Ingenuity beim Denken – theoretisch wie medial nicht planbar – findet „performativ“ statt, regt an und auf, muss „inneres Spektakel“ sein. KünstlerInnen müssen obsessivitätstauglich sein, sonst sind sie in der Gegenwart nicht angekommen.

Die Sommerakademie 2007 befasste sich mit jungen Positionen in der zeitgenössischen Kunst, wobei die Entgrenzung zwischen Kunst und den „Möglichkeiten des Artifiziellen“ ästhetisch-praktisch wie theoretisch Thema war. „Delirös“ allemal – „de linea ire“, über die Linie gehen, indem man „auf der Linie“ bleibt. Die Intermedialität in der Kunst sowie die Interdisziplinarität zwischen ihrer experimentellen Vielfalt und den Wissenschaften ist selbstverständlich. Der Einsatz von Stimme/Ton/Geräusch, multimediale Installationen für eine rhetorische Architektonik oder Konzept-Theatralik, experimentelle Umgebungen für situationistische Performances, Hybrid-Formen oder Artifiziell-Naives aus dem Konventions-Reich klassischer Kunstgattungen, etc. – aus all diesen ästhetischen Verwirklichungshorizonten wurden die teilnehmenden KünstlerInnen erwartet. Kein Diskurs-Dogma schmückt das Portal, die Fragestellung zum Entrée bleibt: „Wieviel Diskurs verträgt ein ästhetisches Gefühl, und welchen?“

Unsere Sommerakademie kreiste um gesellschaftliche Bedingung und ästhetische Praxis „künstlerischer Produktivität“.

Brigitte Felderer, Herbert Lachmayer
Leitung Sommerakademie 2007